Was kann Demokratie, Daniel?
Was erwarten wir eigentlich von Demokratie – und was kann sie wirklich leisten? Dr. Daniel Schwarz, wissenschaftlicher Studienleiter beim Demokratie Labor Basel Projekt, spricht über gefährliche Vereinfachungen, unerfüllbare Versprechen und die Frage, ob mehr Partizipation wirklich zu mehr Gerechtigkeit führt.
Daniel, was meinst du, wie steht es um unsere Demokratie –in der Schweiz und in der Welt?
Daniel Schwarz: Nüchtern betrachtet: eher schlecht. Die Zahl der Staaten, die als vollwertige Demokratie gelten können, nimmt seit einigen Jahren ab. Und es betrifft nicht nur Länder mit geringer demokratischer Erfahrung oder solche, die in ihrer Geschichte immer wieder autoritäre Phasen erlebt haben. Die Schweiz belegt zwar in den einschlägigen Demokratie-Rankings regelmässig Spitzenplätze, doch dürfen auch wir uns nicht davon blenden lassen. Zu einer vollwertigen modernen Demokratie gehört sehr viel mehr als regelmässige Volksabstimmungen. Ich bin mir nicht so sicher, wie gross der Anteil derer ist, die den Meinungspluralismus verteidigen und die Präsenz von politischen Haltungen, die einem persönlich widerstreben, als notwendig für eine lebendige Demokratie erachten. Auch verhalten sich Politiker:innen auch bei uns manchmal so, als ob demokratische Entscheide endgültig wären und politische Mehrheiten ewig währten. Demokratie trägt jedoch immer die Möglichkeit des politischen Wandels in sich. Es ist also besser, wenn man den politischen Gegner und seine Argumente ernst nimmt, anstatt ihn verächtlich zu machen. Irgendwann ist nämlich der andere am Ruder.
Welche «blinden Flecke» gibt es deiner Meinung nach in der gängigen Demokratieforschung?
Daniel Schwarz: Das «Demokratie Labor Basel» bewegt sich im Forschungsfeld der demokratischen Innovationen. Hier wird u.a. untersucht, ob neue Beteiligungsformen – oft unterstützt durch digitale Tools – zu einer besseren (im Sinne von: inklusiveren, responsiveren und transparenteren) Demokratie führen können. Drei Fragen gehen dabei manchmal vergessen:
1. «Besser» für wen? Es besteht die Gefahr, dass neue Instrumente am Ende vor allem den Gutsituierten dienen.
2. Wollen sich die Bürger:innen tatsächlich mehr beteiligen? Sowohl die eher tiefe Beteiligung an Abstimmungen und Wahlen als auch die sinkende Bereitschaft zum politischen Engagement in den Gemeinden unterstützen diese These nicht unbedingt.
3. Werden Versprechungen gemacht, die nicht einzuhalten sind? Das Problem der aktuellen Demokratie liegt nicht darin, dass sie schlechte Resultate liefert, sondern dass vielleicht zu viel erwartet wird.
Für weite Teile Europas kann im Grossen und Ganzen behauptet werden: Nie ging es Leuten wirtschaftlich besser, nie hat der Staat bessere Leistungen erbracht. Und obwohl die politischen Entscheidungen heutzutage transparenter ablaufen und auch deutlich mehr kommuniziert und eingebunden wird als früher, hat dies nicht zu mehr Zufriedenheit, Vertrauen und Nähe zu den staatlichen Behörden geführt.
Warum? Vermutlich, weil einerseits das Versprechen einer «besseren» Demokratie auch die Erwartungen erhöht hat. So führt mehr Transparenz gleichzeitig zu mehr Information darüber, was alles schlecht läuft im Staat. Die Sozialen Medien befeuern dies zusätzlich. Andererseits, weil durch die Fixierung auf die ökonomische Performance des Staates zunehmend internationale Akteure in den Fokus rücken, auf deren Zusammensetzung oder Entscheidungen die Bürger:innen keinen Einfluss haben. Die erfolgreiche Produktion wirtschaftlichen Wohlstands trifft auf ein zunehmendes Gefühl der politischen Ohnmacht.
Eine einfache Lösung dafür ist nicht in Sicht. Denn die Bevölkerung ist kaum bereit, freiwillig auf einen Teil ihres aktuellen Wohlstands zu verzichten, nur um politische Kontrolle zurückzugewinnen. Gleichzeitig ist weniger Globalisierung und die Rückbesinnung auf den überschaubaren Nationalstaat das Rezept vieler Populisten – ohne den Preis dafür zu benennen.
Können wir zu viel Partizipation haben – und wo liegt die Grenze zwischen demokratischer Mitbestimmung und politischer Überforderung?
Das Ziel von mehr Bürger:innen-Partizipation liegt darin, die Qualität und Nachhaltigkeit von politischen Entscheidungen zu verbessern. Im Idealfall werden Entscheide breiter abgestützt, was deren Legitimation erhöht. Ich sehe weniger die Gefahr einer Überforderung (sei es der Bürger:innen oder des politischen Systems), sondern eher, dass es die Leute schlicht viel weniger interessiert als oft angenommen wird. Alle politischen Instrumente zur Mitbestimmung – auch diejenigen, die schon seit langer Zeit existieren – werden immer von den einen Gruppen und Interessen stärker genutzt als von anderen. Die Herausforderung besteht darin, zu verhindern, dass neue Partizipationsformen diese Tendenz nicht zusätzlich verstärken. Dass also nicht denjenigen, die sich ohnehin schon sehr aktiv beteiligen und entsprechend einen vergleichsweise grossen Einfluss auf die politische Entscheide ausüben, noch mehr Einflussmöglichkeiten in die Hand gegeben werden. Das Ziel müsste vielmehr sein, diejenigen, die in der aktuellen Politik zu wenig zur Sprache kommen, in eine bessere Position zu bringen. Aber warum sollten sich Leute, deren Interesse an der Politik bislang gering war, plötzlich engagieren wollen?
Was glaubst du, wo steht das Demokratieverständnis und die Schweizer Politik in 50 Jahren?
Nicht an einem ganz anderen Ort als heute. Was ich aber nicht hoffe, dass sich die Entwicklung der letzten 25 Jahre weiter akzentuiert. Die Schweizer Demokratie beruht unter anderem darauf, dass politische Macht geteilt wird. Das gilt auch für Volksentscheide. Seit einiger Zeit ist eine Tendenz zur Verabsolutierung der direkten Demokratie zu beobachten, obwohl die Spielregeln unserer Verfassung anders geschrieben wurden. Die Demokratie in der Schweiz ist ein Zusammenspiel unterschiedlich legitimierter Institutionen mit Volksabstimmungen als Korrektiv. Werden letztere verabsolutiert, besteht die Gefahr einer Tyrannei der Mehrheit. Die moderne – also liberale – Demokratie ist nicht bloss ein Verfahren zum Fällen von Entscheiden, sondern lebt von der Überzeugung der Bürger:innen, dass es gesellschaftlichen Pluralismus braucht und dass es Institutionen gibt, die diesen Pluralismus schützen. Ich erhoffe mir, dass dieses Demokratieverständnis auch in Zukunft Bestand hat.